Versuch einer Einleitung zu dem noch zu schreibenden Buch mit dem Titel 

 

Freiheit der Religion, Beschränkung der Wissenschaft  (oder so ähnlich).

 

Bertrand Russel, und das verschwieg er auch seinen besten Freunden, war von einer Stelle in Homers Odyssee überaus fasziniert:

Die Zauberin Kirke, die Männer in Schweine und zurück in Männern verwandeln konnte, riet Odysseus, auf seiner Heimfahrt, die Unterwelt zu besuchen, um dort von dem Schatten des Sehers Teiresias Rat einzuholen. Sie betonte die Wichtigkeit, Blut mitzunehmen, denn die Schatten könnten nur nach Blutgenuss reden und handeln.

 

Es ist bekannt, dass der Vater der modernen Physik, Isaak Newton, trotz seiner durch und durch rationalen Theorien der Mechanik und Optik, privat irrationale Dinge, zum Beispiel Okkultismus betrieb. Ähnlich war es wohl auch mit Russell. Jedenfalls nahm er die Odyssee ernster noch als Schliemann.

 

Bertrand lernte Segeln, charterte ein Boot auf der Insel Samos und nahm Kurs auf den Eingang des Hades. Der war zwar auf seinen Seekarten nicht als solcher verzeichnet aber Kirkes Wegbeschreibung war klar genug; Bertrand fand ihn.  An Bord hatte er etwas über zwei Hektoliter Rinderblut, das er mit einem elektrischen Rührgerät vor dem Gerinnen bewahrte.

 

Bertrands Hauptmotiv: er arbeitete gerade an seinem Werk „History of Western Philosophy“ und da wollte er noch einige Einzelheiten aus erster Quelle einholen. Sokrates, der ja selbst nichts Schriftliches hinterlassen hatte und nur durch Platons Werke mit seiner Philosophie indirekt mehr oder weniger bekannt wurde, war für Bertrand besonders interessant. Wenn irgend möglich, wollte Russell auch mit Pythagoras, Thales von Milet, und den alten Widersachern Anaximander und Heraklit reden, aber mit Sokrates zuerst.

 

Sokrates’ Schatten trank knapp zwei Liter Blut, nahm menschliche Gestalt an und wurde gesprächig: Themen wie die Ausbildung der Jugend und das Umgehen mit halbgebildeten Zeitgenossen waren bald abgehakt. Sokrates brachte dann das Gespräch auf Religion und betonte ihre Macht und Freiheit. „Das beste Beispiel, lieber Bertrand, ist die alt-griechische Religion, die unter anderem den Hades, hier diese Unterwelt, erfunden hat. Ohne diese Erfindung könnten wir uns gar nicht sehen geschweige denn miteinander reden. Auf Grund ihrer Freiheit erlaubte die Religion diese Erfindung, auf Grund ihrer Macht deren Manifestation – zumindest in den Köpfen vieler Menschen“. Bertrand Russell, Logiker von Weltruhm, hatte den Eindruck hier Zeuge eines Zirkelschlusses oder einer ähnlich unmöglichen logischen Folgerungen zu sein.  Doch Sokrates fuhr unbeirrt fort: „Ich weiß, was Du denkst, und zu meinen Lebzeiten hätte ich ähnlich gedacht, doch du kannst dich doch den Tatsachen hier nicht verschließen. Logik ist eine Sache, aber Politiker, Demagogen jeglicher Färbung und viele andere zeigen uns doch täglich, wie entbehrlich, ja hinderlich Logik ist, wenn man Großes erreichen will“ sprach’s und entschwand, jetzt wieder Schatten, im Dunkeln der hinteren Unterwelt. Durch weitere Interviews machte Russells Wissbegier den Blutreserven ein rasches Ende.  Neugierige erfahren mehr über seine Ausbeute in dem oben genannten Buch: Bertrand Russel „Geschichte der Westlichen Philosophie“.

 

Sokrates, zu seinen Lebzeiten des Atheismus und der Verführung der Jugend bezichtigt, wurde trotz seiner brillanten Verteidigungsrede -- die uns Platon in seinem Werk Apologie überlieferte – zum Tode durch den Giftbecher verurteilt. In der Apologie erzählt Sokrates über seine Erfahrung mit dem im Altertum weltberühmten delphischen Orakel. Der Gott Apollo, der dort durch die Priesterin Pythia sprach, bescheinigte ihm nämlich, dass er der weiseste aller Menschen sei. Sokrates, sich keiner besonderen Weisheit oder Kenntnisse bewusst, mehr noch, überzeugt, sein einziges Wissen bestünde darin, dass er nichts wisse, konnte es nicht glauben, nahm aber das Wort des Gottes so ernst, dass er als seine Lebensaufgabe Menschen finden wollte, die weiser waren als er selbst. Und so wanderte er täglich zur Agora, dem Marktplatz Athens, und verwickelte berühmte und nicht so berühmte Athener in Gespräche über Gott und die Welt, um deren Verständnis zu prüfen. Jedes Mal stellte sich jedoch heraus, dass diese zwar meinten, etwas zu wissen, Sokrates ihnen aber bald das Gegenteil nachweisen konnte. Jugendliche – auch Platon -- scharten sich schadenfreudig dazu und, Sokrates nacheifernd, fühlten sie ihrerseits Mitbürgern auf den Zahn. Es ist verständlich, dass Sokrates dadurch keine Liebe erntete, und die Anklage, Verurteilung und Hinrichtung waren die letztendliche Folge.  Und nun er, der „Atheist“, bat mit seinen letzten Worten einen Freund, dem Gott Asklepios für ihn einen Hahn zu opfern.

 

Da er den Religionen unter anderem Macht und Freiheit zusprach, fühlte sich Russell durch diese Behauptung des Sokrates in eine ähnlichen Lage versetzt wie weiland Sokrates durch den Spruch der Pythia. Das Beispiel der Unterwelt war zwar einleuchtend, es fehlte aber die Begründung d.h. der Mechanismus, mit dem Religionen diese Macht und Freiheit gewinnen. Russell wäre der Sache am liebsten selbst nachgegangen, doch er war zu beschäftigt. Einen guten Freund, den wir hier zum Schutz vor Zudringlichkeiten Sir William Knownothing nennen wollen, bat er daher Würdenträger und Kritiker zu befragen, wie denn Religionen in den Besitz von Macht und Freiheit kämen.