Das ewige Leben

 

 Immunität und Theorie

Haben Sie den Glauben an eine unsterbliche Seele aufgegeben, weil Sie vielleicht meinen, ihr, der Seele, fehlten die fünf Sinne (und wer will schon unsterblich umhergeistern ohne sehen und hören zu können)? Glauben Sie das, weil man ja ohne die körperlichen Augen und Ohren nicht sehen und nicht hören kann? Hätte die Seele die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, so argumentieren Sie vielleicht weiter, dann brauche man ja die Sinnesorgane nicht, denn die Seele könnte einspringen und uns die Welt zeigen? Obwohl diese Überlegung recht plausibel klingt, machen Sie sich die Sache doch etwas zu einfach.  Ein Gegenargument, dass wir auch im Traum Dinge sähen, obwohl unsere Augen geschlossen seien, zeigt, dass die Augen für das Erscheinen mentaler Bilder nicht erforderlich sind. Es ist aber kein Argument für die Seele, es sei denn man gehe so weit zu behaupten, die Seele tue das Träumen. Täte sie es, dann fehlte ihr offensichtlich das Denkvermögen in anbetracht des haarsträubenden Unsinns, der uns bisweilen im Traum begegnet.

 

Ich kann es mir nicht verkneifen, ein mir kürzlich widerfahrenes Exempel dieser verworrenen-komischen Traumlogik kurz zu berichten: Also, ich irre in einer mir bekannten Stadt umher und stelle fest, dass ich diese Situation schon des Öfteren erlebt hatte, und zwar im Traum. Mir war also plötzlich klar, dass ich träumte. Nun kommt der Blödsinn: Um mich herum standen Leute, und ich tippe meinem Vordermann auf die Schulter und erkläre ihm: „Sie gibt es gar nicht, denn ich träume Sie nur.“ Dieser ungehobelte Kerl ignoriert mich und spricht über meine Schulter hinweg, offenbar zu einem hinter mir stehenden: „Sind Sie nicht mein Abgeordneter?“ Da wurde ich wach, amüsiert.

 

Eigentlich will ich auf etwas anderes hinaus, trotzdem ist der obige Gegenstand, wie man sehen wird, relevant für unser Thema. Im Augenblick bitte ich noch um etwas Geduld, da die Sache der Seele noch ein paar abschließende Gedanken braucht, auch wenn wir nicht im geringsten beabsichtigen, den Gegenstand tiefschürfend zu behandeln, denn selbst eine bescheidene Berücksichtigung der religiösen, philosophischen, moralischen und praktischen Aspekte würde wohl Bücher füllen.

 

Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ hat bereits darauf hingewiesen, dass man die Existenz der Seele weder beweisen noch widerlegen könne. Damit ist sie in der guten Gesellschaft mit Göttern und Geistern und Bertrand Russells Teekanne, die zwischen Erde und Mars die Sonne umkreiset aber leider zu klein ist, um selbst mit dem stärksten Teleskop gesehen werden zu können. Russells Erklärung dieses Phänomens findet sich im Anhang. Die Geister und die Götter andererseits, die ja immer wieder manchen Menschen erscheinen, kann die Wissenschaft vor allem deshalb nicht nachweisen, weil sie nicht kooperieren d.h. sie wehren sich gegen den positiven Beweis; sie bestehen darauf, dass man sie glaube. Der Leser wird bemerken, dass Kritik hier auf Granit beißt: Die Theorie der Existenz der unsterblichen Seele, der Geister und der Götter ist immun gegen rationale Kritik.

 

Karl Popper hat scharf formuliert, was Naturwissenschaftler schon immer intuitiv wussten: Die Behauptungen einer Theorie muss man prüfen können, nicht um sie zu beweisen sondern um sie möglicherweise zu widerlegen, zu falsifizieren, wie Popper sagt. Das heißt, eine Theorie muss Prüfmethoden möglich machen, mit denen man nachweisen kann, dass die Behauptungen der Theorie stimmen.  Aber, eine Prüfung (z.B. ein Experiment) im Sinne der Theorie, die eine Theorie besteht, beweist (verifiziert) nicht ihre Richtigkeit, geht die Prüfung jedoch fehl, so ist sie logischerweise widerlegt (falsifiziert). Die Verifikation funktioniert nicht, da eine Theorie gewöhnlich ein Kontinuum (d.h. eine Unendlichkeit) von Fällen beschreibt, die man daher nicht erschöpfend prüfen kann, und das müsste man für eine erfolgreiche Verifikation.

 

Trotzdem, wissenschaftliche Theorien, im logischen Sinne zwar nicht bewiesen, können sich aber in der Praxis sehr wohl hervorragend bewähren. Wäre das anders, gäbe es z.B. keine Autos, kein Fernsehen, kein Telefon, keine künstlichen Satelliten, kurz keine Technik. Ein Beispiel, wie eine hervorragend bewährte Theorie trotzdem zu Fall kommen kann, ist die newtonsche Theorie der Mechanik. Für zwei Jahrhunderte leistete sie und leistet immer noch ausgezeichnete Dienste für die Konstruktion von Gebäuden und Maschinen, wie auch für die Erklärung der Planetenbewegungen.

 

Doch Ende des 19ten Jahrhunderts entdeckte man durch genaue Messungen der Lichtgeschwindigkeit, dass Newton das Verhalten des Lichtes falsch voraussagt. Damit war die newtonsche Theorie nun zwar falsifiziert aber sie ist trotzdem eine so gute Annäherung an                        

die Wahrheit, dass sie für die meisten technischen Zwecke immer noch völlig ausreicht.1) Andererseits, Theorien, die gegen Prüfungen ihrer Richtigkeit immun sind, können zwar nicht falsifiziert werden, sagen aber auch nichts aus; als wissenschaftliche Theorien sind sie leer; sie reduzieren sich zu Glaubenssätzen, nutzlos für die Wissenschaft. Daher ist für ein solches Glaubensgebäude die Bezeichnung Theorie und auch selbst die vorsichtigere Bezeichnung Hypothese fehl am Platze. Der Begriff der Immunität wird uns später wieder begegnen.

 

Für den gläubigen Christen ist die Frage nach der unsterblichen Seele übrigens nicht relevant: Das Glaubensbekenntnis spricht nur von der Auferstehung des Fleisches am jüngsten Tage, nicht vom Weiterleben der Seele. Das war unter anderem Platos Vorstellung, die von den Kirchenvätern begierig adoptiert wurde.

 

1) Eine etwas detailliertere Erklärung, wie die ältere Theorie von Newton durch die neuere Theorie von Einstein abgelöst wurde, findet sich im Anhang.

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