Das Glaubensgebot

Der Katholizismus entwickelte die interessante Lehre vom freien Willen, der es dem Menschen erlaube, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Diese Art der Formulierung lässt den Zweifel an Gottes Existenz als Alternative erst gar nicht zu. Allerdings, um dem Menschen die Entscheidung zu erleichtern wird Zuckerbrot und Peitsche eingesetzt: Wenn du glaubst und nach Gottes Willen lebst, dann wirst du ewige Glückseligkeit im Himmel erfahren, andernfalls ewige Folter in der Hölle. Der Islam ist nicht anders. Aber ist es nicht eine Frage der Fairness? Adam, Noah, Abraham, Moses, Aaron, und viele der späteren Propheten haben Gott gesehen, gehört oder sogar mit ihm geredet. Sie brauchten keinen Glauben, sie waren privilegiert, sie wussten, sie kannten Gott persönlich. Von dem Rest der Menschheit wird erwartet, dass er glaubt. Nicht zu glauben ist Sünde; für die Muslime ist es die größte Sünde nicht an Allah zu glauben oder zu bezweifeln, dass Mohamed sein Gesandter ist und dass ihm der Koran von dem Erzengel Gabriel diktiert wurde. Im Christentum klingt es etwas milder: (Joh. 20:29) Jesus spricht zu ihm (Thomas): Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Glückselig sind, die nicht gesehen und geglaubt haben! Wenn sich unser Schöpfer einigen auserwählten Personen zeigt aber von allen anderen erwartet, das sie an ihn glauben, so ist er m.E. einfach unfair: die Menschheit wird in zwei Klassen eingeteilt, in solche die wissen dürfen und solche die glauben müssen. Es ist auch unverständlich, warum Gott den persönlichen Kontakt mit seinen Geschöpfen durch diese Barriere des Glaubens so unendlich erschert hat. Für den Gottesmann liegt dies wie so vieles andere in Gottes unerforschlichem Ratschluss begründet. Eine einleuchtendere Erklärung für die Gotteserfahrung der „Privilegierten“ ist, dass die tatsächlichen Erscheinungen Gottes oder seiner Engel entweder legendär sind, also in gutem Glauben erfunden wurden, als Halluzinationen von mehr oder weniger frommen Menschen erklärt werden müssen, oder auch als bewusste Erfindungen, als Mittel, die durch den „guten Zweck“ geheiligt werden, konstruiert wurden. Welcher der drei Erklärungen im Einzelfall zutrifft, ist schwer zu sagen. Die meisten der Berichte halte ich für legendär. Bei dem Bericht in Jesaja 6:1 ff z.B. könnte jeder der drei Fälle vorliegen. Eine Analyse aller bekannten Fälle halte ich für müßig.

 

Zum Schluss

Dass irgend eine Religion wahr ist, d.h. dass ihre Glaubensinhalte der Realität entsprechen, ist fast unmöglich, wobei das Wort „fast“ nur aus philosophischer Vorsicht eingeschoben wurde. Es bleibt die Frage ob für das Verbreiten einer Illusion, und wenn es keine wahre Religion gibt, sind alle Religionen Illusionen, eine Berechtigung gibt. Die Behauptung, dieses sei gut, da die Menschen ja religiöse Bedürfnisse hätten und aus der Religion Trost schöpften, ist so zynisch und überheblich wie der lateinische Satz mundus wult decipi. Als wahrheitsliebender Mensch muss man dieses Ansinnen jedenfalls verneinen. Ohne Gott gibt es auch nicht die quälende Frage, wie Gott denn das Unrecht und Leiden auf der Welt zulassen könne, d.h. die Frage nach der Theodizee. Die Angst vor dem Tod, eine Folge des zum Überleben fundamental-wichtigen Selbsterhaltungstriebs, (die Angst vor der Hölle ist wohl eher selten), ist einer der wesentlichen Antriebe für Religiosität; er kann aber auch ohne Religion überwunden werden: In hundert Jahren werden wir uns genau so fühlen wie vor, sagen wir, 100 Jahren. Ist der Gedanke denn so schrecklich und furchterregend?  Die Vorstellung, dass wir, für unser eigenes Gefühl, sogar ewig leben, ist nicht ganz so absurd, wie sie klingt: Solange wir unser Bewusstsein haben, leben wir, und wenn das Bewusstsein mit dem Tode erlischt, dann wissen wir nichts davon.

 

Anhang:

Bertrand Russells Teekanne

Wenn ich behaupten würde, dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gäbe, welche auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreise, so würde niemand meine Behauptung widerlegen können, vorausgesetzt, ich würde vorsichtshalber hinzufügen, dass diese Kanne zu klein sei, um selbst von unseren leistungsfähigsten Teleskopen entdeckt werden zu können. Aber wenn ich nun zudem auf dem Standpunkt beharrte, meine unwiderlegbare Behauptung zu bezweifeln sei eine unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft, dann könnte man zu Recht meinen, ich würde Unsinn erzählen. Wenn jedoch in antiken Büchern die Existenz einer solchen Teekanne bekräftigt würde, dies jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt und in die Köpfe der Kinder in der Schule eingeimpft würde, dann würde das Anzweifeln ihrer Existenz zu einem Zeichen von Exzentrizität werden. Es würde dem Zweifler in einem aufgeklärten Zeitalter die Aufmerksamkeit eines Psychiaters einbringen oder die eines Inquisitors in früherer Zeit.“

– Bertrand Russell: Is There a God?

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