Der erste Satz ‚Die Kirche lehrt, daß jede Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen ist und dass sie unsterblich ist’ ist eindeutig, wenn man darauf verzichtet zu wissen, was genau man unter „Geistseele“ zu verstehen hat. Gleichfalls klar ist die Aussage: ‚im Tod trennt sie sich vom Leibe und bei der Auferstehung vereint sie sich erneut mit dem Leibe’.
Dagegen soll der einführende Abschnitt (365) wohl den ohnehin Gläubigen beeindrucken; dem Zweifler mag der Inhalt eher unverständlich erscheinen (umgeschrieben mit meinen Worten): Die Einheit von Leib und Seele ist sehr, sehr tief. Dadurch ist man gezwungen, die Seele als „Form“-- Sie wissen schon -- des Leibes zu betrachten. Das ‚Sie wissen schon’ ist meine Interpretation der Anführungszeichen, die wohl andeuten sollen, dass das Wort Form nicht wörtlich sondern als Metapher zu verstehen ist, denn ‚Form’ als Gegensatz zu ‚Inhalt’ kann ja wohl kaum gemeint sein. Nur, wie die Metapher zu verstehen ist, ist unklar. Das Wort Charakter kann kaum gemeint sein, denn dann hätte man ja einfach Charakter sagen können; das gleiche gilt für alle möglichen denkbaren Begriffe; man muss daraus wohl schließen, dass bewusst Schwammigkeit gewollt war. – Ich schlage jedoch weiter unten eine Auflösung dieses vermeintlichen Unsinns vor –. Der nächste Satzteil, eingeleitet mit ‚das heißt’ soll nun den Eindruck erwecken, dass man doch Klartext spricht, die dort gegebene Erklärung „die Geistseele bewirkt, daß der aus Materie gebildete Leib ein lebendiger menschlicher Leib ist“ fällt aber einfach zurück auf die inzwischen (weit vor 1997) von Forschungsergebnissen abgelöste aristotelischen Vorstellung, nämlich dass die Seele den materiellen Leib erst lebendig macht. Wenn das aber so geglaubt werden soll, dann haben ja auch die Tiere, einschließlich derer, die wir schlachten und essen, eine Seele, da sie ja auch lebendig sind. In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass einer meiner Biologielehrer am Gymnasium Petrinum (Recklinghausen), Dr. Karl Weiss, 1947 ein Biologiebuch mit dem Titel „der Geist ist’s, der lebendig macht“ geschrieben hat. Das Buch ist antiquarisch erhältlich.
Dann wird betont, dass es sich bei der Seele (diesmal Geist) und der Materie nicht um zwei vereinte Naturen handele, sondern um eine Einheit, eine einzige Natur. Das klingt wie untrennbar! Soll es aber wohl nicht sein, denn nach 366 trennt sich die Seele vom Körper im Tode und vereinigt sich nach der Auferstehung wieder mit dem neuen Leib. Das Ganze wird natürlich unter dem Schirm des göttlichen Mysteriums angesiedelt, womit der logische Unsinn gegenüber Kritik immun gemacht wird, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Doch, wie gesagt, den Theologen wird unter die Arme gegriffen werden, denn ich werde hier für das Ganze eine Erklärung vorgeschlagen, welche diese – nun als scheinbar entlarvte – Unlogik auflöst.
Uns zunächst dem Mysterium unterwerfend wollen wir nun darüber nachdenken, wie diese unsterblich Seele in den Körper gelangt. Man kann die Frage natürlich einfach abtun, indem man annimmt, dass Gott dies zu dem ihm als genau richtig empfundenen Zeitpunkt vornimmt, dass es sich also jedes Mal um ein direktes Eingreifen des persönlichen Gottes handelt. Das ist zunächst nicht so absurd, wie man glauben könnte. Mindesten heißt es in der Schrift, dass nichts geschehe ohne den Willen Gottes, nicht einmal der Tod eines Sperlings. Nun hat die Wissenschaft (vom Teufel erfunden, wie die radikalen Islamisten glauben) für eine große Menge von natürlichen Vorgängen, wenn nicht sogar für fast alle (und an den noch fehlenden wird gearbeitet), Mechanismen entdeckt, die sie kontrollieren, sei es das Wachsen eines Baumes, das Entstehen eines Gewitters, das Ausbrechen eines Vulkans oder das sich Entwickeln des Fötus eines Tieres oder eines Menschen. Man muss dann die Behauptung der Bibel wohl so verstehen, dass Gott diese Mechanismen geschaffen hat so, dass alles auf Grund seiner Allwissenheit entsprechend seinem Willen geschehen wird. Man darf dann wohl annehmen, dass es für die Ausstattung eines Körpers mit einer Seele auch so einen vorgefertigten Mechanismus gibt. Hier muss ich zu meinem Schutz gegen den Vorwurf der mangelnden Logik darauf hinweisen, dass ein Analogieschluss, und darum handelt es sich hier (wenn es für alles Andere Mechanismen gibt, dann also auch für das Einpflanzen der Seele), keine logisch zwingende Behauptung darstellt; trotzdem ist dieser Schluss auf Grund der gewaltigen Anzahl von Beispielen überzeugend plausibel. Also beginnen wir mit dieser vorsichtigen Spekulation, und ich bin sicher, dass selbst tief-gläubige Christen das Ergebnis nicht rundheraus ablehnen werden.
Die Frage, wann, in der Evolution, unsere Vorfahren Mensch genug waren, um eine Seele zu verdienen, erübrigt sich nach der obigen Analyse, nämlich die, dass auch Tiere eine Seele haben. Es bleibt die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Mensch- oder auch Tierwerdung die Seele in den Körper fährt. Man könnte meinen, kurz nach oder bei der Geburt. Ein möglicher Augenblick ist die Durchtrennung der Nabelschnur. Vorher, so könnte man argumentieren, ist das Kind noch Teil der Mutter und nimmt damit an ihrer Seele teil. Doch glaube ich, dass diese Möglichkeit auch von religiöser Seite her abgelehnt wird. Bei Vögeln, z.B., gibt es diesen Moment nicht. Daher, wenn wir einen allgemeinen Mechanismus für wahrscheinlich halten, fällt diese Möglichkeit weg.